Andalind aus Gonnim
von Keil Stronden, königlicher Geschichtsschreiber in Corgón
Ich wage zu behaupten, dass wir am Ahronischen Königshof durchaus vom Anblick schöner Frauen verwöhnt sind. Und doch ist es keine adelige Frau, keine Tochter eines Fürsten, die die Corgóner schwärmerisch als "Rose von Ahron" bezeichnen, sondern eine Schauspielerin.
Im Blütemond 1418 n.F. trat im Garbrand-Theater erstmals jenes Mädchen auf, das die folgenden drei Jahre Tausende von Zuschauern in Verzückung versetzen sollte. Andalind hieß die Schauspielerin, die zunächst nur Helborgs treue Dienerin spielte. Doch mit ihrer klaren, deutlichen Stimme, den schönen dunklen Augen und ihrer wohlgeformten Gestalt, fiel sie allen auf. Dazu kam, dass sie die Rolle der Dienerin so überzeugend und lebhaft darstellte, dass die Zuschauer sofort von ihr begeistert waren.
Es dauert nicht lange, ehe Andalind Helborg selbst spielte und die Schauspielergruppe vom königlichen Theater auf sie aufmerksam wurde. So kam es, dass die junge Frau ein knappes Jahr später in Ahrons größtem Theater auf der Bühne stand.
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Nun, da Andalind immer bekannter wurde, wollten viele Corgóner mehr über ihre Herkunft und ihr früheres Leben erfahren. Bisher wusste man nur, dass sie von den Dorschinseln kam. Und wen wundert es bei der Hartnäckigkeit der Corgóner, dass einige besonders Neugierige schnell mehr in Erfahrung brachten?
Wie vermutet, kam Andalind aus Gonnim, wo sie eine Dienerin bei einer reichen Familie gewesen war. Der Hausherr war ein Freund des Theaters und der Literatur, hatte aber schlechte Augen, sodass Andalind ihm jeden Tag vorlas. Das erklärte natürlich ihre geschulte Stimme und die deutliche Aussprache.
Eines Abends waren bedeutende Gäste eingeladen und unter ihnen befand sich auch Hede Tullen, die Besitzerin des Garbrand-Theaters. Nach Beendigung der Mahlzeit trug Andalind zur Unterhaltung der Gäste einige Gedichte vor. Hede Tullen war im höchsten Maße von der schönen Dienerin angetan und wollte sie nach Corgón in ihr Theater mitnehmen. Der Hausherr war zunächst dagegen, ließ sich aber schließlich von Hede Tullen überreden und schickte Andalind mit ihr nach Corgón.
Andalinds Lebensgeschichte war also bei weitem nicht so spektakulär oder gar skandalös, wie viele es sich erwünscht hätten, aber gerade das einfache Volk fühlte sich über die niedere Herkunft mit ihr verbunden und ihre Beliebtheit vergrößerte sich.
In den folgenden zwei Jahren spielte Andalind beinahe alle wichtigen weiblichen Rollen und gerade als junge Liebende wurde sie vom Publikum bejubelt.
In dieser Zeit lernte sie auch den Tragödiendichter Gabran Lestes kennen, der von ihrer Schönheit und ihrem Talent beeindruckt war. Bald hieß es, Andalind wäre die Geliebte des Dichters, ein Gerücht, das die Herzen zahlreicher junger Männer in Corgón brach. Tatsächlich schien Gabran in der Schauspielerin seine große Liebe gefunden zu haben, denn wann immer man die beiden sah, vermittelten sie den Eindruck tiefster Verbundenheit und Zuneigung. Freilich tat das Andalinds Beliebtheit keinen Abbruch, auch wenn vielleicht die Zahl der Liebesbriefe, die ihr ihre glühenden Verehrer schrieben, zurückging.
Drei Jahre nach Andalinds erstem Auftritt feierte Gabrans neues Stück "Das Amulett" Premiere und es schien, als habe der Dichter Andalind die Rolle der tragischen Liebenden Berrid extra für sie geschrieben. Obwohl die junge Schauspielerin jede Rolle stets überzeugend gespielt hatte, so war das Publikum dieses Mal doch hingerissen wie nie zuvor. Ganz Corgón sprach nur noch von ihr und selbst der König war beeindruckt, als er einmal eine Vorstellung besuchte.
Doch nur wenige Wochen nach der ersten Aufführung von "Das Amulett" ereignete sich ein furchtbares Unglück. Bei den Bauarbeiten am Gudatempel unmittelbar neben dem Theater passierte den Arbeitern ein schrecklicher Fehler und der Tempel stürzte zusammen. Dabei riss er einen Teil des Theaters ein, in dem gerade Gabrans neue Tragödie gespielt wurde. Bei diesem Unglück fanden an die hundert Menschen den Tod und unter ihnen befand sich auch Andalind.
So war dies nicht nur ein sehr tragischer Vorfall für viele Familien, sondern auch ein großer Verlust für die Theaterwelt. Keine Schauspielerin konnte seither Andalind ersetzen und Gabran hat nach ihrem Tod kein einziges Stück mehr geschrieben.
Erst vor kurzem wurde im wieder aufgebauten königlichen Theater ein neues Mosaik angebracht, das Andalind in der Rolle der Berrid zeigt.
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