Ich mache nun ein Sprung zurück in die Zeit um 1500 v. Z., jene Zeit, in der ich die Rhem-Völker zurückgelassen habe. Ähnlich, wie die Rhem fast ein Jahrtausend vorher durch Bevölkerungszunahme in den Süden getrieben worden waren, setzten nun erneut Wanderungen ein. Bisher hatten sie nur im Nordosten gesiedelt, während die Altecweler im Nordwesten, südlich der rhemischen Dörfer und teilweise auch im Gebiet der Rhem lebten.
Noch weiter im Südosten lebten jene Stämme, die heute unter dem Begriff "Wüstenvölker" zusammengefasst werden, auch wenn zum damaligen Zeitpunkt noch kein einziger Stamm in der Wüste lebte.
Als die Rhem nun begannen, sich nach Westen und Südosten auszubreiten, setzten sie damit andere Völker in Bewegung, die wiederum weitere Völker vor sich hertrieben.
Vereinfacht ausgedrückt kam es im Osten zu einer allgemeinen Südwanderung: Die Rhem drangen in das Gebiet der Altecweler vor, die daraufhin großteils Kämpfen aus dem Weg gingen und dadurch die Wüstenvölker aus den fruchtbaren Ebenen südlich des Flusses Iwrece vertrieben.
Die Wüstenvölker schließlich spalteten sich in mehrere Gruppen auf: Die Fischerstämme an der Küste - die Alender - segelten in ihren Booten nach Norden und dort die Küste von Madhirande entlang, ehe sie sich in Westlidáne niederließen (dazu später noch mehr). Die Modowi wanderten zunächst gemeinsam mit den Yabu in die Nendla-Steppe, ehe sie nach Südwesten zogen und dort die fruchtbaren Täler des Weko (Cheitiece) besiedelten. Von den Yabu blieben einige Stämme in der Steppe, während sich andere in das unwirtliche Gebiet der Nganu-Wüste wagten. Die Nakober, die vorher am Rande der Steppe gelebt hatten, zogen schließlich durch die Wüste bis in die Savanne und in die Wekotäler südlich des Nummgebirges.
Im Westen kam es vorerst noch nicht zu großen Völkerwanderungen: Da kein Platzmangel bestand, lebten die Rhem und Altecweler relativ friedlich nebeneinander und betrieben regen Handel mit den Ur-Tvedesi weiter im Süden.
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Die 1. Völkerwanderung im Süden
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Über die vielen nomadischen Stämme der Steppe und Wüste gibt es in den folgenden Jahren wenig zu berichten, doch auch wenn man sich nur auf die von den Rhem bewohnten Gebiete beschränkt, ist es schwierig, bedeutende Kulturströmungen zu finden. Im Gegensatz zum Norden entwickelten sich im Süden zwar schnell größere Städte, aber ein einheitliches Reich oder auch nur eine einheitliche Kultur wie etwa die Kerbschnittkeramik gab es lange nicht. Das heutige Cumeische Reich war damals ein Flickenteppich verschiedener kleiner Kulturen, einige altecwelisch, einige Weiterentwicklungen der Steinbarkenkultur, einige ganz neue Kulturen der Rhem und viele auch Mischformen.
Deshalb werde ich diejenigen herausgreifen, die einerseits stellvertretend für den Süden dieser Zeit sind und die andererseits in den nächsten Jahrhunderten die führenden Mächte in diesem Teil von Acarneya wurden.
Eine davon ist Liach Arb, die erste wirkliche Stadtkultur, die von etwa 1400 v.Z. bis zum Ausbruch des Sintece an den nördlichen Ausläufern der Etzberge bestand.
Liach Arb war eine steinzeitliche Stadt - zwar wurden einzelne Gegenstände aus Kupfer hergestellt, aber wirklich intensive Metallverarbeitung fand nicht statt. Das wichtigste Rohmaterial war stattdessen Obsidian, der eines der begehrtesten Handelsgüter des Südens darstellte. Die Bewohner von Liach Arb verfügten über große Mengen an Obsidian und stellten damit nicht nur Werkzeuge und Gefäße her, sondern tauschten ihn auch gegen Agrarprodukte der Bauern, die ihn ihrerseits untereinander eintauschten, wodurch sich regelrechte Obsidianstraßen ergaben.
Um 1000 v.Z. beherbergte Liach Arb an die 1000 Einwohner und in den folgenden Jahrhunderten wurden es noch deutlich mehr. Die Häuser wurden aus Lehm gebaut und boten durch Holzleitern Zugang auf die flachen Dächer, die Zentrum des gesellschaftlichen Lebens waren. Hier wurden Früchte getrocknet, Töpferwaren bemalt und Kleidung genäht. Da viele Häuser eng aneinander gebaut wurden, dienten die Dächer auch als Straßen der Stadt.
In den Innenhöfen wurde das Vieh die Nacht über gehalten, während die Hirten die Tiere tagsüber in die umliegenden Graslandschaften trieben.
Anders als im Norden wurden die Götter in Liach Arb in Tempeln verehrt. Die Heiligtümer unterschieden sich äußerlich kaum von den normalen Wohngebäuden, waren aber im Inneren mit prachtvollen Wandmalereien verziert. Die wichtigsten Gottheiten waren Dhavirkhia, die hier noch lange als große Mutter und Fruchtbarkeitsgöttin galt (und nicht auf ihre Funktion als Totengöttin reduziert wurde), und der Himmels- und Wettergott Ched Adyal. Den Göttern wurden Dankopfer dargebracht und viele Steinfigürchen zierten die Mauervorsprünge in den Heiligtümern. Sie wurden auch den Toten, die unter den Fußböden der Häuser beigesetzt wurden, ins Grab mitgegeben.
Es gab viele ähnliche Städte wie Liach Arb, aber keine erreichte deren Größe und Reichtum. Verbunden waren die Städte nur durch Handel, nicht aber durch einen gemeinsamen Herrscher oder gemeinsame Gesetze.
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Altecwelerin

Obsidiangegenstände
(c) by Ghikra
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Ein erstes größeres Reich des Südens entstand um 500 v.Z. in Carima - der Gegend der heutigen gleichnamigen Provinz. Hier schlossen sich mehrere Siedlungen zusammen und wählten einen gemeinsamen Hochkönig, auch wenn jede Stadt mehr oder weniger eigenständig von einem König verwaltet wurde.
Der Hochkönig hatte seinen Sitz in der Stadt Dheram in der Nähe des heutigen Pelacin. Dheram war der kultische Mittelpunkt des Reiches und Sitz der Muttergöttin Dhavirkhia, für die in der Mitte der Stadt auf einem Hügel ein großes Heiligtum errichtet wurde. Der Hochkönig galt als Geliebter der Göttin und war auch der oberste Priester von Carima.
Der Tempelhügel war zugleich Grabhügel, denn ähnlich wie in der dunaischen Felsgräberkultur wurden auch hier unterirdische Grabkammern in labyrinthartigen Komplexen angelegt.
Die Häuser waren runde Lehmbauten mit strohgedeckten Dächern und hatten fest eingebaute Öfen aus Erde und Gips. Dheram hatte in seiner Blütezeit über 2500 Einwohner und war damit die größte Stadt von Carima.
Es entstand auch eine einfache Symbolschrift in Dheram, die aber später wieder in Vergessenheit geriet.
Um 400 v.Z. begann allmählich der Seehandel mit den Dunai und auf diese Weise kam auch Bronze nach Carima. Zunächst wurden lediglich Bronzegegenstände eingetauscht, aber bald begannen die Carimer selbst mit der Herstellung der begehrten Legierung.
Dies war der Schritt zur Weiterentwicklung zu einem bedeutenden Reich, das vielleicht bald die dunaischen Stammesfürstentümer übertroffen hätte, wäre es am Ende der Stammeszeit nicht zu einem folgenreichen Ereignis gekommen:
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Das Ende der Stammeszeit und den Beginn der Zeitrechnung markierte eine gewaltige Naturkatastrophe, die sich also im Jahre 0 ereignete. In den Etzbergen brach der Vulkan Sintece aus und verdunkelte im gesamten Gebiet des heutigen Cumeischen Reiches die Sonne für drei oder vier Tage.
Die Druckwellen waren in ganz Acarneya wahrnehmbar, was dazu führte, dass es in beinahe allen Kulturen Spuren des Ausbruchs gibt - seien es nun schriftliche Quellen wie bei den Dunai und Carimern oder mündliche Überlieferungen und Sagen.
Obwohl ein weltweiter Kälteeinbruch folgte, erholten sich die Bewohner der nördlichen Inseln recht schnell von dem Ausbruch. Sie waren an kühlere Temperaturen gewöhnt und konnten die Missernten durch Fischfang und Jagd ausgleichen. Zudem hatten sie seit jeher deutlich widerstandsfähigere Getreidesorten als die Südmenschen angebaut und schon frühere Kälteperioden erlebt.
Im Süden hingegen warf der Ausbruch die Völker in ihrer Entwicklung um Jahrzehnte oder vielleicht sogar Jahrhunderte zurück. Viele Siedlungen im Süden wurden durch den Ausbruch direkt zerstört, die meisten verfielen aber erst durch die erwähnten Folgeerscheinungen. Missernten und Hungersnöte zwangen viele Menschen, die Städte zu verlassen und wieder zur nomadischen Lebensweise zurückzukehren, das Reich von Carima zerfiel und bestand nur noch aus kleinen, steinzeitlichen Dörfern und Liach Arb wurde völlig verlassen. Nur nomadische Viehhirten schlugen manchmal ihre Lager noch an der Quelle auf, die im Herzen der einst blühenden Siedlung lag.
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