Home >> Diverses >> Bastlergeschenke >> Wichteln 2007

Es ist der sechste Tag des Dunkelmondes auf der Insel Lidáne. Schon seit Tagen versteckt sich die Sonne hinter einer tiefhängenden Wolkendecke.
Fröstelnd drückt der Schreiber Svetir seine Pergamentmappe an sich.
Der Wind treibt wieder einmal eisigen Nebel vom Domameer heran. Auf den Dächern Caragons gefriert er zu einer dünnen weißen Kruste, und scheint auch bestrebt in jede Ritze von Svetirs Kleidung einzudringen, um ihm die letzte Wärme zu rauben. Er zieht die Schultern hoch und marschiert weiter. Es ist nicht mehr weit.
Sein Ziel ist der Laden der Witwe Anâruén im Viertel Dea Siaga.
Schon von Weitem kann er das große schmiedeeiserne Schild über der Eingangstür erkennen. Die daran herabhängenden Kräuterbüschel, alle paar Wochen durch neue ersetzt, verraten auch dem gemeinen Volk um was für einen Laden es sich handelt. Froh der Kälte zu entrinnen schlüpft Svetir ins Innere und drückt rasch die schwere Holztür hinter sich zu. Trockene Wärme und der Duft des Sommers heißen ihn willkommen. Hunderte Bündel getrockneter Kräuter hängen von der Decke, und die Regale an den Wänden sind vollgestopft bis obenhin. Beutelchen, Salbentiegel und Ölfläschchen in den verschiedensten Farben, langstielige Duftkerzen, Räucherhölzchen... das einzige was fehlt sind tierische Arzeneien. Die bietet der Laden auf der anderen Straßenseite an.
Suchend sieht Svetir sich um. Zwischen all den hohen Krügen, Kisten und Körben sitzt ein kleiner Junge, ein Sklave der Kleidung nach, und zupft Trockenblüten auseinander. Als er den Schreiber sieht springt er auf. "Guten Morgen, Herr!" Svetir erwidert den Gruß mit einem knappen Nicken. "Lauf rasch und berichte deiner Herrin, daß der Schreiber hier ist, nach dem sie geschickt hat."
Der Junge nickt eifrig. "Wartet hier, Frau Anâruén ist sofort bei Euch!"
Während der Junge hinter einem schweren Vorhang verschwindet, sieht sich Svetir die Auslagen der Regale genauer an. Die Kräutersäckchen sind nicht beschriftet, sondern mit einem System aus Knoten und verschiedenfarbigen Kordeln markiert. Er hat in seiner Ausbildung davon gehört, doch bevor ihm einfallen will wer dieses System zuerst einführte, hört er Schritte auf dem knarrenden Holzfußboden.
"Seid gegrüßt. Ihr seid der Schreiber, den man mir empfohlen hat?"
Svetir nickt und verneigt sich höflich. "Der bin ich, meine Dame."
Anâruén ist keine junge Frau mehr, doch sie hält sich gerade und ihre Stimme hat einen angenehmen Klang. Ihre eisblauen Augen mustern Svetir, der sich gut vorstellen kann, wie sich diese Frau im harten Daseinskampf mit den anderen Händlern behaupten konnte. "Dann wollen wir rasch zum Geschäft kommen. Du, Nini! Sag deiner Mutter, sie soll ein Auge auf den Laden haben während wir hinten sind. Und bring uns einen Tee."
Anâruén bedeutet Svetir mit einer Geste, ihr zu folgen. Im Hinterzimmer steht ein schwerer hölzerner Tisch, auf dem bereits Kerzenhalter mit teuren Bienenwachskerzen zur Beleuchtung bereitstehen.
"Meine Familie hat im Laufe der Zeit viele Kapitäne und Händler hervorgebracht", beginnt Anâruén und sie setzen sich. "Daher haben wir weitläufige Handelsbeziehungen in alle großen Häfen dieser Welt, und ich kann Kräuter und Ingredenzien anbieten die man nirgendwo sonst auf Lidáne kaufen kann. Mein Wissen um diese Arzeneien will ich der Nachwelt hinterlassen, und dabei sollt Ihr mir helfen."
Während sie Tee trinken, einigen sie sich auf Svetirs Honorar, dann packt er seine Schreibutensilien aus. Auch der letzte klamme Rest der Kälte ist mittlerweile aus seinen Fingern verschwunden.
Nachdenklich blickt Anâruén auf das leere Pergament.
"Was zuerst kommen muß, ist eine Liste aller Pflanzen, ein erster, grober Überblick. Dann brauche ich ein System, um dies übersichtlich zu ordnen, und auf jede Pflanze einzugehen, Mengenangaben, Zeichnungen... aber eins nach dem anderen. Fangen wir also an. Schreibt: Ackermark..."
Und Svetir taucht die Feder ein und beginnt zu schreiben:

~ Ackermark ~
Der Strauch wird in Ahron oft als Grenzmarkierung zwischen Feldern verwendet. Die Rinde wird abgeschält und verbrannt. Die gefilterte Asche ist heilsam für den Darm.

~ Aschenmoos ~
Dieses findet man im Bergland des Ezechaurel. Es heißt, als der Sincete-Vulkan ausbrach und seine Asche über dem Land niederging, wurde ein Teil dieser Asche lebendig und bedeckt seither die Erde, wo immer auch keine andere Pflanze wachsen will. Die Moosbüschel werden zur Blutstillung auf Wunden gepresst.

~ Blutwengel ~
Eine Blume aus Bilreva, deren Blüten fingerlang und dunkelrot gefärbt sind. Die Staubblätter sind sehr begehrt, da sie anregend wirken und die Kampfeslust fördern.

~ Bodentann ~
Das immergrüne Gewächs findet sich in den Ländern des nordöstlichen Festlandes. Es wird nur kniehoch, und das Öl seiner Nadeln befreit die Atemwege bei Erkältungen. Man reibt es auf die Brust oder atmet die Dämpfe ein.

~ Cumeischer Süßdorn ~
Diese Pflanze wächst nur dort, wo es heiß und trocken ist. Sie speichert eine süßliche Substanz im Inneren ihrer großen Dornen, die sich gut herauskratzen läßt. Süßdornraspeln helfen gegen Durchfall und wirken fiebersenkend.

~ Casylante ~
Auf der Insel Casylant beheimatet, sind es die fleischigen Blätter dieses knorriger Buschs, die bei den einheimischen Hirten heiß begehrt sind. Getrocknet und geröstet wirkt deren Rauch leicht berauschend, oft sitzen die Männer in verqualmten Räumen zusammen um den harten Alltag zu vergessen.

~ Dämmerlin ~
Eine Gräserart Räkants, deren Halme als Zutat für Tees zu Linderung von Kopfschmerzen geschätzt werden.

~ Echter Bardenkämmel ~
Diese weißblühende Pflanze ist Vikons begehrtestes Kraut, denn man sagt ihm nach, ein mächtiges Aphrodisiakum zu sein. Alle Teile der Pflanze werden benutzt, die teuersten Tränke verwenden ausschließlich die länglichen Blüten als Zutat. Nicht zu verwechseln mit dem Falschen Bardenkämmel.

~ Falscher Bardenkämmel ~
Äußerlich nur schwer von Echtem Bardenkämmel zu unterscheiden, ist der Genuß dieser Vikoner Pflanze weit weniger angenehm. Schon eine geringe Menge bewirkt sofortiges Erbrechen, was bei Vergiftungen und dem Genuß verdorbener Nahrung Leben retten kann. Falscher Bardenkämmel erfreut sich auch bei rachedurstigen Ehefrauen großer Beliebtheit.

~ Fischkappe ~
In Cumeas Sumpfgebieten weit verbreitet, duftet dieser kleine grauweiße Pilz intensiv nach Fisch. Getrocknet verliert er diesen Duft. Er wird zusammen mit anderen Bestandteilen zu einem Pulver verarbeitet, welches einmal im Jahr um die Brunnen gestreut werden muss, damit böse Geister das Wasser nicht verderben.

~ Flammenbart ~
Ein intensives orangerot auf den Gebirgshängen in Nyondi verrät jedem Reisenden von weitem, wo die nächste Kolonie des Flammenbartes zu finden ist. Man kratzt die Flechte ab und verwendet sie in Umschlägen, um Entzündungen und Hautreizungen zu lindern.

~ Grünbarte ~
Eine Seetangart, die in der Brandung an den felsigen Küsten der Inseln in der Beronsee gedeiht. Egal ob frisch oder getrocknet gegessen läßt sie die Seeleute ihre Zähne länger behalten.

~ Gemeine Salzfaust ~
Diese staubgraue, faustgroße Pflanze bildet unter der Erdoberfläche viele Wurzeln aus, und wächst auch auf salzigen Böden. Man baut die Pflanze in der Provinz Seici an um Böden zu entsalzen, und erntet ihre Blättchen ab. Das Inhalieren von Salzfaustdampf hilft gegen Lungenkrankheiten.

~ Garbengraupe ~
In den Genarbergen wachsen die Büschel der Garbengraupe in den niederen Höhenlagen. Ihre winzigen Samen werden ungeschält gesammelt. Sie stärken die Gesundheit und fördern die Verdauung.

~ Hadugertel ~
An Wasserläufen in Ahron findet man die langen biegsamen Gerten, sie werden aufgeschlitzt und das Mark herausgekratzt. Als Sud angesetzt, lindert es Harnwegserkrankungen.

~ Irdonsringel ~
Der Busch kommt in Lidáne und Selegondo vor, viel spricht dafür, daß er einmal in der Ghinal-Ebene heimisch war. Der Volksmund sagt, dieser Busch mit seinen unverkennbaren in sich gerollten Blättern sei am häufigsten in der Nähe der alten Hügelgräber zu finden. Die rötlichweißen Blüten werden bevorzugt in Schnaps eingelegt, dieser Extrakt wirkt anregend auf Herz und Kreislauf.

~ Jodhonstrost ~
Dies ist eine winzige Pflanze, die auf Trauerweiden blüht, und sonst nirgendwo überleben kann. Sie wird als Ganzes abgeerntet und in Duftkissen verwendet, die Duftnote ist veilchenähnlich. Eine Paste daraus hilft gegen Entzündungen im Mundbereich.

~ Kammerdruchs ~
Schattige Winkel, Spalten und Höhleneingänge der Berge in Selegondo bieten dem Kammerdruchs einen Lebensraum. Die winzigen behaarten Blättchen ranken sich an feuchten Felswänden empor. Kammerdruchs wird in besonderen Fällen zur Abtreibung eingesetzt, nämlich dann wenn die Geburt für die Mutter den Tod bedeuten würde, und das Überleben des Kindes ungewiß ist.

~ Kerbenknötel ~
In den Heidegebieten Ahrons gedeiht diese giftige Pflanze. Breiumschläge aus ihren Wurzeln wirken gichtlindernd.

~ Löffelgras ~
In den Weidegründen der Rentiernomaden findet man diese Grasart, deren holzige Stängel mehr an Schilfrohre erinnern. Man gewinnt aus ihnen ein wohltuendes Balsam, welches auf trockene und gereizte Haut aufgetragen wird.

~ Maidenlieb ~
Eine bodennahe Blume die in Palúa heimisch ist. Ihre violetten Blätter werden ausgepresst, das Öl von den jungen Frauen als leichtes Parfum verwendet.

~ Mondenschnitz ~
Dieses Gehölz findet man in Räkants Norden, das einzig medizinisch Nutzbare sind die halbmondförmigen Schoten, aus denen man ein Tonikum bereiten kann, welches bei Leberleiden hilft.

~ Narbenbauch ~
Ein Pilz, so genannt wegen des pockennarbigen fleischfarbenen Pilzschirms, in dessen Mitte eine bauchnabelähnliche Vertiefung ist. Er kann als Breiumschlag aufgetragen oder in kleinen Mengen gegessen werden, und lindert Entzündungen.

~ Perlhalm ~
Dieses Gras wächst auf den Inseln vor Vikons Küste, seine Samenkörner sind von einem weißen luftigen Gespinst umschlossen und wie eine Perlenkette auf der Blattoberfläche angereiht. Perlhalmsamen finden in Mitteln gegen Seekrankheit Verwendung.

~ Quellkopf ~
Aga Sidasha ist die Heimat dieser Blume, deren Blüten übergroßen Rosen ähneln. Sie öffnen sich während einer einzigen Sommernacht und blühen dann nur wenige Tage lang. Ihr Duft ist süß und lieblich, und man gewinnt aus den Blütenblättern ein begehrtes Duftöl.

~ Roter Stechnabel ~
Dieser Strauch kommt im Norden des Cumeischen Reiches vor und hat kleine harte Früchte. Gekocht und vergärt hilft das Fruchtfleisch gegen Frauenleiden.

~ Rainnblatt ~
Rainnblatt wächst in den Sommermonaten in Ettekosämas Seenlandschaft. Die tellerartigen, gelblichen Blätter schwimmen auf dem Wasser, während die ins Wasser hängenden Wurzeln sich gern Halt an den Uferpflanzen suchen. Die Wasserwurzeln werden eingelegt, sie wirken verdauungsfördernd.

~ Sternhändchen ~
Die Jäger und Sammler, welche die Randgebiete des Hemikrowaldes durchstreifen, bringen von ihren Reisen die armlangen Stängel des Sternhändchens mit, dessen Blütendolden handförmig angeordnet sind und winzige weiße Blüten tragen. Diese, in Duftkissen nachts zum Schlafen unter den Kopf gelegt, erleichtern Trauernden das Herz.

~ Seldentrieb ~
Diese seltene Pflanze, deren Wurzelstock metertief in die Erde hinabreicht, wächst nur am Rand der schwarzen Wüste. Ein Auszug aus pulverisierten, mit dem Urin junger Knaben vermischter Wurzelspitzen schützt bei regelmäßiger Einnahme vor verschiedenen Giften.

~ Simmerblatt ~
Im nyondischen Tiefland findet man das Simmerblatt, einen Baum mit langen dunkelgrünen Blättern, die von einer dünnen Wachsschicht überzogen sind. Die Blätter werden im Frühjahr geerntet, zu Brei zermahlen, getrocknet und in Barrenform gepresst. Umschläge helfen gegen Rheuma und Gelenkleiden.

~ Stemmertilch ~
Aga Sidasha ist das Land, in dem man diesen Strauch am häufigsten antrifft. Seine Knospen werden geerntet und eingekocht. Der dicke Sud wird am besten warm getrunken, er leert den Darm und befreit von Würmern.

~ Staubschwanz ~
Dieser Baum trägt lange, schweifähnliche Blütendolden. Wenn man sie schüttelt rieselt der Blütenstaub herunter, er wird als Gewürz verwendet, und soll lebensverlängernd wirken.

~ Traubwurz ~
In den Steppen des Cumeanischen Reiches wächst diese unscheinbare Pflanze, zwischen deren Wurzeln sich harte, traubengroße Knötchen bilden. Wurzelträubchen halten jahrelang, und werden gekaut, aber nicht geschluckt. Die Säfte im Speichel sind gut für den Magen.

~ Tupfenkamm ~
Das Auffälligste am Tupfenkamm sind seine panaschierten Blätter, die wirken, als habe ein Maler weiße Farbe auf das grüne Blatt gespritzt. Er wächst an den Ufern des Cheitieceflusses, sein weißlicher Pflanzensaft wird getrocknet, und das Pulver in kochendem Wasser aufgelöst hilft gegen Halsschmerzen

~ Vielfingerkraut ~
Es wächst in den Sommermonaten in Räkant und hat blassblaue Blüten. Eine Salbe daraus wird bei Erfrierungen aufgetragen.

~ Würgedicht ~
Diese Schlingpflanze bewohnt die Bäume im Telwodwald, und windet sich so fest um die Stämme, daß man sie nur mit dem Messer abschneiden kann. Eine zähe Paste daraus hilft gegen Hämhorriden.

~~~

"Das war's für heute", meint Frau Anâruén. Ihrer Stimme merkt man die Anstrengung des langen Sprechens an.
Svetir reibt sich die Augen und legt die Feder beiseite. Er schüttelt die Hand aus und blickt zufrieden auf Zeile um Zeile säuberlich notierter Pflanzenarten. Er streut ein wenig Löschsand auf das letzte Blatt und überreicht den Stapel an seine Arbeitgeberin.
"Morgen um dieselbe Zeit?"
Anâruén nickt und begleitet ihn nach vorne zur Tür.
Beide wissen noch nicht, daß sie vier Jahre brauchen werden, um ein Buch zu verfassen, welches für die folgenden Jahrzehnte als das Standardwerk für Kräuterheilkunde schlechthin gelten wird.
Natürlich stammt ein Teil von Frau Anâruéns Wissen nur aus zweiter oder gar dritter Hand, und so ist es nicht auszuschließen, daß sich in manchen Bereichen Fehler eingeschlichen haben. Doch diese müssen von anderen korrigiert werden, die es besser wissen.

(c) by Sturmfänger


Home >> Diverses >> Bastlergeschenke >> Wichteln 2007